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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446207165
Sprache: Deutsch
Umfang: 144 S.
Format (T/L/B): 1.6 x 20.9 x 13.2 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Ein junger Mann wird spät in der Nacht am Place de Pyramide von einem Auto gestreift. Leicht verletzt und mit nur mehr einem Schuh bringt man ihn zusammen mit der Fahrerin ins Krankenhaus, doch die Frau flieht. "Unfall in der Nacht" erzählt von der Suche nach jener schönen Unbekannten in den Pariser Straßen, Kneipen und Cafés der sechziger Jahre.

Autorenportrait

Patrick Modiano, 1945 in Boulogne-Billancourt bei Paris geboren, ist einer der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den großen Romanpreis der Académie française, den Prix Goncourt, den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur und 2014 den Nobelpreis für Literatur. Bei Hanser erschienen unter anderem die Romane Place de l'Étoile (2010), Im Café der verlorenen Jugend (2012), Der Horizont (2013), Gräser der Nacht (2014), Damit du dich im Viertel nicht verirrst (2015), der Prosatext Schlafende Erinnerungen (2018), das Theaterstück Unsere Anfänge im Leben (2018) sowie zuletzt die Romane Unsichtbare Tinte (2021) und Unterwegs nach Chevreuse (2022).

Leseprobe

Spät in der Nacht, vor sehr langer Zeit, kurz bevor ich volljährig wurde, da überquerte ich die Place des Pyramides in Richtung Concorde, als ein Wagen aus der Dunkelheit auftauchte. Zunächst glaubte ich, er habe mich gestreift, dann spürte ich einen stechenden Schmerz vom Knöchel bis hinauf ins Knie. Ich war auf das Trottoir gestürzt. Doch ich schaffte es, wieder aufzustehen. Der Wagen hatte plötzlich einen Schlenker gemacht und war mit dem Geklirr zerbrechenden Glases gegen einen der Arkadenpfeiler auf dem Platz geprallt. Die Tür ging auf, und eine Frau stieg schwankend aus. Jemand, der vor dem Hoteleingang unter den Arkaden stand, hat uns ins Foyer geführt. Wir, die Frau und ich, warteten auf einem roten Lederkanapee, während er an der Rezeption telephonierte. Sie hatte sich an der Wange, auf dem Backenknochen und der Stirn verletzt, und sie blutete. Ein brünetter Klotz mit sehr kurzem Haar hat das Foyer betreten und ist auf uns zugekommen. Draußen umringten sie den Wagen, dessen Türen offenstanden, und einer machte sich Notizen wie für ein Protokoll. Als wir in den Streifenwagen stiegen, merkte ich, daß ich keinen Schuh mehr am linken Fuß hatte. Die Frau und ich saßen nebeneinander auf der Holzbank. Der brünette Klotz hatte sich uns gegenüber auf der anderen Bank niedergelassen. Er rauchte und warf von Zeit zu Zeit einen kalten Blick auf uns. Durch das vergitterte Fenster habe ich gesehen, daß wir den Quai des Tuileries hinunterfuhren. Man hatte mir keine Zeit gelassen, den Schuh zu holen, und ich habe gedacht, daß er nun die ganze Nacht dort auf dem Trottoir liegenbleiben würde. Ich wußte nicht mehr genau, ob es ein Schuh war oder ein Tier, das ich im Stich gelassen hatte, jener Hund aus meiner Kindheit, der von einem Wagen überfahren worden war, als ich in der Nähe von Paris lebte, in einer Rue du Docteur-Kurzenne. Mir war ganz wirr im Kopf. Vielleicht hatte ich mich bei meinem Sturz am Schädel verletzt. Ich habe mich zu der Frau gedreht. Es überraschte mich, daß sie einen Pelzmantel trug. Mir ist wieder eingefallen, daß Winter war. Außerdem trug der Mann uns gegenüber auch einen Mantel und ich eine von diesen alten Lammfelljacken, wie man sie auf Flohmärkten fand. Ihren Pelzmantel hatte sie bestimmt nicht auf dem Flohmarkt gekauft. Nerz? Zobel? Sie hatte ein sehr gepflegtes Äußeres, was nicht zu den Verletzungen in ihrem Gesicht paßte. Auf meiner Jacke, etwas oberhalb der Taschen, sah ich Blutflecken. Ich hatte eine lange Schramme im linken Handteller, und die Blutflecken auf dem Stoff, die kamen sicher daher. Sie hielt sich sehr gerade, aber mit geneigtem Kopf, als starre sie auf etwas am Boden. Vielleicht auf meinen schuhlosen Fuß. Die Haare trug sie halblang, und im Licht des Foyers war sie mir blond vorgekommen. Das Polizeiauto war an der Ampel stehengeblieben, auf dem Quai, bei Saint-Germain-l'Auxerrois. Der Mann beobachtete uns immer noch, mal sie und mal mich, schweigend, mit seinem kalten Blick. Ich fühlte mich langsam an irgend etwas schuldig. Die Ampel wurde nicht grün. Es brannte noch Licht in dem Cafe an der Ecke Quai/Place Saint-Germain-l'Auxerrois, wo mein Vater sich oft mit mir verabredet hatte. Das war der Augenblick, um zu fliehen. Vielleicht brauchten wir auch nur diesen Typen auf der Bank zu bitten, daß er uns gehen ließ. Aber ich fühlte mich außerstande, das kleinste Wort hervorzubringen. Er hat gehustet, ein schleimiges Raucherhusten, und ich war überrascht, einen Ton zu hören. Seit dem Unfall herrschte tiefe Stille um mich, als hätte ich das Gehör verloren. Wir fuhren den Quai hinunter. Als das Polizeiauto auf die Brücke einbog, spürte ich, wie ihre Finger mein Handgelenk umfaßten. Sie lächelte mich an, wie um mich zu beruhigen, aber ich hatte überhaupt keine Angst. Mir schien sogar, als wären wir, sie und ich, uns schon bei anderer Gelegenheit begegnet und als habe sie immer dieses Lächeln. Wo hatte ich sie schon gesehen? Sie erinnerte mich an jemanden, den ich vor lang ... Leseprobe